Gehört dem chemischen Recycling die Zukunft?

Kunststoffe sind energie- und ressourceneffiziente Materialien und vielseitig einsetzbar. Sie sind zu wertvoll, als dass sie einfach auf Deponien gelagert oder verbrannt werden sollten.

Dennoch werden laut Umweltbundesamt von den 3.097,7 kt in 2016 angefallenen Kunststoff-Verpackungen lediglich 1,49 kt (48,4%) der wertstofflichen Verwertung zugeführt. 49,7% werden energetisch verwertet und 0,2% landen noch immer auf Deponien.

Verpackungsabfälle D 2016

Entsorgungswege von Verpackungsabfällen aus Kunststoff

Quelle: Umwelt Bundesamt, Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland im Jahr 2016

Es gibt diverse Gründe für die geringe werkstoffliche Verwertung. Neben unzureichender Ausnutzung der Sortiertechnik, unvollkommenen Trennprozessen, Verunreinigungen etc. ist die Rezyklatausbeute des mechanischen Recycling maßgeblich abhängig von der Qualität der Kunststoffabfälle. Sie müssen sortenrein sein. Das recyclingunfreundliche Produktdesign vieler Hersteller ist dabei ein entscheidendes Hemmnis. Es lässt die Nachnutzungsphase im mechanischen Recycling unberücksichtigt. Immer dünnwandigere Verpackungen verringern zwar den Materialaufwand, benötigen aber auch eine immer größere Kunststoffvielfalt, um die vielfältigen Funktionen zu ermöglichen. (Tolinski 2012). Diese komplexen Kunststoff-Mischverbunde sind werkstofflich nicht zu trennen respektive zu recyceln.

Aktuell wird das chemische Recycling als neue Lösung propagiert. Diverse Pilotprojekte mit Partnern aus Industrie und mit Herstellern laufen. So hat Zott kürzlich ein Pilotprodukt vorgestellt: Die neue Zottarella-Verpackung ermöglicht nach Herstellerangaben mit chemisch recyceltem Polyamid eine 25%ige  Einsparung fossiler Ressourcen. (https://www.zott-dairy.com/de/presse/news/neue-zottarella-verpackung-spart-25-fossile-rohstoffe-ein/news-a/list/news-c/NewsItem/news-y/2020/)

Ist das die Lösung des Recyclingproblems, und hat das mechanische Recycling damit ausgedient?

Beim chemischen Recycling werden Polymerketten der Kunststoffe chemisch in Moleküle zerlegt, die von der chemischen Industrie als Rohstoffe verwendet werden können. Je nach Verfahren entstehen Synthesegas, Pyrolyseöl oder Monomere, die wieder zur Kunststoffherstellung oder für andere Zwecke genutzt werden könnten.

Am häufigsten angewandt werden thermochemische Verfahren wie die Pyrolyse: Dabei wird der Kunststoffabfall unter Sauerstoffabschluss bei Temperaturen zwischen 500 und 850 Grad Celsius zersetzt. Es entsteht unter anderem Pyroloseöl, aus dem Treibstoff hergestellt werden kann (Plastic to Fuel), oder es kann weiter verarbeitet werden, um in neue Kunststoffprodukte einzufließen, wie es BASF mit dem ChemCycling™-Projekt entwickelt. In diesem Verfahren kommt das Pyrolyseöl nach der Aufreinigung - typischerweise zusammen mit fossilem Naphtha (Rohbenzin) - in einen sog. Steamcracker. Die Rohstoffe werden dort bei etwa 850 Grad Celsius aufgespalten. Dabei entstehen im Wesentlichen Ethylen und Propylen, welches als Ausgangsmaterial in neue Produkte einfließen und fossile Rohstoffe ersetzen kann (Plastic to Plastic).

Vergleich chemisches Recycling (CR) mit mechanischem Recycling (MR):

 Repolymerization

      Mechanical Recycling

Quelle: GAIA: Fact Sheet Chemical Recycling

  • Sowohl MR als auch das CR erfordern das Sammeln, Reinigen und das Sortieren. Beide Verfahren benötigen Eingangsströme, die nach einer Kunststoffart/Polymertyp und Additiven sortiert sind.
  • Verunreinigungen und Additive sind für beide Systeme ein Hindernis, auch wenn CR etwas toleranter ist.
  • Beim MR wird in der Regel die Polymerlänge verkürzt, was einen Kunststoff geringerer Qualität zur Folge hat, der daher meist in offenen Kreisläufen (Open-Loop-Recycling) geführt wird.
  • Der mit CR hergestellte Kunststoff hingegen ähnelt Virgin-Kunststoff, die Ausbeute der Rezyklate ist jedoch sehr gering und der Prozess ist mit sehr kostenintensiv und weitaus komplexer.

Das wichtigste Kriterium sind jedoch die Umweltauswirkungen von CR. Es existiert keine LCA (Life-Cycle-Analyse) des gesamten „Plastic to Plastic“-Prozesses. Dennoch weiß man über Teilbereiche des chemischen Verfahrens – welches bereits seit den 50iger Jahren bekannt, aber noch immer nicht zur Marktreife gelangt ist – wie energieintensiv sie sind. Der CO2-Fußabdruck ist groß. Zudem kommt es zu Wasser- und Luftverschmutzungen und Abfällen mit toxischen Nebenprodukten.

Fazit: Die Vorteile des CR – Virgin-Qualität und die größere Toleranz bei Verunreinigungen – wiegen nicht annähernd die Nachteile dieser Technologie auf. Daher kann man nur, zum Schutz des Klimas und der Ressourcen, dem MR im direkten Vergleich den Vorzug zu geben.

Dennoch unterstützen aktuell immer mehr Unternehmen CR, trotz der Vielzahl an ökologischen, wirtschaftlichen  und technischen Problemen. Das Ziel, möglicherweise Verpackungen mit Rezyklatanteil marketingtechnisch kommunizieren zu können, ohne Veränderungen am Produktdesign vornehmen zu müssen, verschleiert womöglich den Blick auf das Wesentliche: Es existiert bereits ein funktionierendes System!  

Statt auf fiktive Lösungen zu setzen, sollten Maßnahmen mit dem Hintergrund der Abfallhierarchie und nach entsprechender Rangordnung folgen:

  1. Reduce
  2. Reuse
  3. Recycle - mechanical
  4. Repolymerization - chemical
  5. Incineration.

Das heißt, dass das Produktdesign zunächst um unnötige Kunststoff-Bestandteile reduziert wird und mögliche Wiederverwendungsmöglichkeiten geprüft werden. Der nächste zentrale Ansatzpunkt muss die Wiederverwertung durch das MR sein. Zur Gewinnung hochwertiger Sekundärrohstoffe muss das Produktdesign auf recyclingfähige Ein-Stoff-Lösungen umgestellt werden.

Und da eine Änderung von Produktdesign-Vorgaben oft auch kostenintensive Änderungen in den Unternehmensprozessen zur Folge hat, benötigen wir eine verbindliche Design-Richtlinie, möglichst auf europäischer Ebene, hin zu einem „Design for Recycling“. Hier sollte es zu einem intensiven Auswahlprozess geeigneter Kunststoffsorten kommen. Laut Bundesumweltamt wird der Einfluss der Designphase auf die Umweltauswirkungen eines Produkts mit durchschnittlich 80% angegeben (vgl. Neugebauer 2014, S. 111).

Daher:
„Design for Reycling“ respektive eine Ein-Stoff-Lösung funktioniert auch für Lebensmittelverpackungen. Dies haben wir u.a. mit unserer Ein-Stoff-Verpackung Flowpack für Hackfleisch unter Beweis gestellt. Nun benötigen wir den Veränderungswillen der FMCG-Unternehmen und verbindliche Richtlinien auf EU-Ebene, um schnell und effizient nachhaltig zu werden.

CR muss in der Prioritätenreihenfolge der Abfallhierarchie unter dem MR eingeordnet werden (vgl. Boston Consulting Group „A Circular Solution to Plastic Waste“).

BCG pyramid 650

CR kann eine Lösung zur Verbrennung sein, wie die LCA der Pyrolyse von BASF zeigt, sollte aber keinesfalls als Prozess des Recyclings anerkannt werden, um eine Konkurrenz zum MR auszuschließen (vgl. "BASF LCA for ChemCycling™"

Mögliche Fördergelder oder Subventionen sollten in den Ausbau von Sortier- oder Verwertungstechnologien fließen. Fonds zur Förderung von Sekundärkunststoffen dürfen nicht zur Konkurrenz von CR und MR führen!

Lesen Sie auch folgenden Artikel des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse): "Chemisches Recycling in der Kritik".

Über den Autor

"WIR HANDELN NACHHALTIG AUS ÜBERZEUGUNG!"

Maag-Geschäftsführer Ansgar Schonlau ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und hat langjährige Erfahrung in der Druck- und Verpackungsindustrie mit dem Schwerpunkt auf Flexible Verpackungen.  Er ist engagierter Verfechter der Supply-Chain-Optimierung zur Vermeidung aller Arten von Verschwendung, hat in seinem Unternehmen schon früh Lean Management eingeführt und setzt sich für die Kreislaufwirtschaft von Folienverpackungen ein.